Ein Kommentar von Dr. des. David Yuzva Clement zum rechtsextremistisch motivierten Anschlag in Hanau. Der Sozialpädagoge lebt in Ottawa und arbeitet für das Kanadische Innenministerium. Der ehemalige Jugendpfleger der Stadt Bonn ist beratender Experte bei der Dr. Moroni Stiftung, die für Vielfalt steht und sich für Menschen mit diversen Biographien engagiert.

Der rechtsextremistisch motivierte Anschlag in Hanau am Mittwochabend dieser Woche, bei dem insgesamt elf Menschen starben, reiht sich in einen Zusammenhang von Gewalt- und Terrorakten aus dem Milieu des Rechtsextremismus ein. Der Anschlag auf die jüdische Gemeinde und ihre Synagoge am 9. Oktober 2019 in Halle, die Ermordung des deutschen Politikers Walter Lübcke und die unzähligen Gewaltakte gegenüber geflüchteten Menschen samt ihrer Wohnunterkünfte, zeugen allesamt von schrecklichen Entwicklungen. Sie weisen aber auch gleichzeitig auf den offenen bis subtilen Hass hin, der sich in Milieus der Gesellschaft verbreitet hat und sich wie eine rote Linie durch die Nachkriegsgeschichte Deutschlands zieht. Diese und weitere Gewalt- und Terrorakte stellen nun kein Alarmzeichen dar, sie sind ideologisch verknüpft mit rechtsextremistischen Ausschreitungen und Gewalt der 1990er Jahre sowie dem NSU-Terror, der nach wie vor nicht vollständig aufgearbeitet zu sein scheint.

Zum aktuellen Zeitpunkt ist bekannt, dass der Täter von Hanau als Einzeltäter gehandelt haben soll. Er verfasste ein Manifesto sowie ein Video. Dieses Vorgehen kann ebenfalls im Zusammenhang anderer rechtsextremistischer Terroranschläge festgestellt werden. So wurden zum Beispiel in Christchurch, Neuseeland, am 15. März 2019 mehr als 50 Menschen muslimischen Glaubens von einem Rechtsterroristen in zwei Moscheen getötet. Obgleich diese Täter vermutlich als Einzeltäter gehandelt haben, sind sie in einem transnationalen und im Internet vernetzten Großmilieu beheimatet, in dem gewaltorientierte Verschwörungstheorien wie die des „Großen Bevölkerungsaustausches“ oder dem „Niedergang der weißen Rasse“ ausgiebig diskutiert und verherrlicht werden. Es ist womöglich verfassungsfeindlich, wenn AFD-Politiker*innen diese „Theorien“ aufgreifen und befürworten, was schlichtweg darauf abzielt, diese rassistischen, gewaltorientierten und antidemokratischen Ideen in die Mehrheitsbevölkerung und in deutsche Parlamente inklusive der Zusammenarbeit zwischen politischen Parteien, wie in Thüringen gesehen, zu tragen. Terrorismus wird als „message crime“ bezeichnet, er will Hass, Angst, Unfrieden, Gewalt und Chaos verbreiten. Terroristische Gewalt und ihre Botschaften entmenschlichen Zielgruppen, und richten sich auch immer an die Gesamtbevölkerung und die Demokratie. Parteien wie die AFD und andere Akteure, Einzelne aber auch Bewegungen wie PEGIDA, beteiligen sich an der Verbreitung dieser Botschaften, auch dann, wenn sie sich vom Akt der Gewalt theoretisch distanzieren.

Mit Bundesprogrammen wie „Demokratie Leben!“ (und entsprechenden Förderprogrammen zuvor) werden u.a. Projekte und Beratungsstellen im Bereich der Rechtsextremismusprävention gefördert. Dies ist angebracht und richtig. In der Wissenschaft und Präventionspraxis ist allerdings noch nicht klar, wie Menschen mittleren und höheren Alters durch entsprechende Maßnahmen erreicht werden können. Der Täter von Hanau war 43 Jahre alt. Die vor wenigen Tagen festgenommene mutmaßliche rechtsextreme Terrorzelle, darunter ein Polizeimitarbeiter, besteht aus Personen im Alter zwischen 30 und 60 Jahren. Diese Zelle war gewillt, mehrere Moscheen in Deutschland anzugreifen. Welche Rolle können beispielsweise Berufs- und Genossenschaftsverbände einnehmen? Dass das Internet eine zentrale Rolle in Radikalisierungsprozessen einnimmt, ist erforscht. Hingegen stecken Ansätze der „online“ Extremismusprävention noch in den Kinderschuhen. Die deutsche Bundesregierung hat den sogenannten „Christchurch Call to Action“ unterschrieben. Dieser Aufruf zielt u.a. darauf ab, gezielt gegen die Verbreitung von extremistischen und terroristischen Internetseiten und entsprechenden Inhalten vorzugehen sowie Social Media Unternehmen aufzufordern, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Es gilt sich vehement gegen Alltagsrassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus sowie Extremismus, und für Demokratie und Vielfalt einzusetzen. Dies kann nicht alleinige Aufgabe zivilgesellschaftlicher Gruppen und Organisationen sein.