Ein Kommentar von Saloua Mohammed (M.A.) zur aktuellen antirassistischen #Blacklivesmatter-Debatte. Die Sozialarbeiterin/-pädagogin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule in Köln und forscht in den Bereichen Migration, Flucht, Gender und Ideologien der Ungleichwertigkeit. Sie promoviert momentan zum Thema rechtsextremistische Einflüsse auf die Soziale Arbeit. Zudem ist sie als Migrationsberaterin im Bereich der Migrationsberatung für Erwachsene beim Caritasverband für die Stadt Bonn tätig. Die Sozialarbeiterin/-pädagogin berät Institutionen, soziale Organisationen sowie Adressat*innen zu den Bereichen Diversity, rassismuskritische Soziale Arbeit, sowie zum kritisch-reflexiven Umgang mit Hinwendungsprozessen zu menschenfeindlichen und extremistischen Strömungen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Der Tod von George Floyd, einem schwarz-amerikanischen Staatsbürger aus Minneapolis, hat nicht nur das Leben seiner Familie und Freund*innen tiefgreifend und für immer verändert. Sein Tod brachte eine enorm große Trauer, Wut und Kraft (wieder) an die Oberfläche, die momentan wie eine Lawine über die amerikanische Nation- und darüber hinaus- rollt. Floyd verlor sein Leben, während mehr als nur ein Polizist auf ihm knieten, obwohl er bereits in Handschellen auf dem Boden lag. Noch vor seinem Tod flehte er:“ Ich kann nicht atmen!“. Doch darauf gab es keinerlei Reaktion, da von ihm als Schwarzer eine Gefahr ausgehen könnte, so dass nach mehr als acht qualvollen Minuten Floyd regungslos auf dem Boden lag und schließlich im Krankenhaus aufgrund dieser Gewalteinwirkung verstarb. Er starb durch den unverhältnismäßigen Einsatz von körperlicher Gewalt durch Polizisten, die angewandt wurde, weil von ihm als Schwarzer nach Einschätzungen der Polizisten eine Gefahr ausging. Genauso dramatisch, wie sein Tod, ist die Tatsache, dass es sich um keinen Einzelfall handelt, und auch Schwarze Frauen in den USA immer wieder Opfer dieser „vermeintlichen Denklogik“ werden. Auch traurige Realität: Das Risiko durch Polizist*innen Gewalt zu erfahren oder sogar durch diese zu sterben, ist bei Schwarzen in den USA um ein vielfaches höher, als es der Fall bei weißen Menschen ist. Man kann jetzt sagen, dass es sich doch um ein „typisch“ amerikanisches Problem handelt, da es bis heute eine Art „weiß gegen schwarz“ geben würde. Oder die lapidare Begründung gelten lassen, dass Polizist*innen eine viel zu kurze Ausbildung durchlaufen. Doch eine aufrichtige und faktenbasierte Auseinandersetzung zeigt, worum es im Kern geht: Rassismus! Sobald dieser Begriff fällt, entsteht auf der „weißen Seite“ oft eine Abwehr- und Verteidigungshaltung. Machen sogar beispielsweise BIPoC´s* Gebrauch von dem Begriff Rassismus, um Diskriminierungs- und Ausschlusserfahrungen zu beschreiben und zu skandalisieren, ist die Empörung nicht selten groß. Schwarz und Weiß sind hierbei zwei politisch und sozial konstruierte Begriffe, die Asymmetrien in Macht- und Herrschaftsverhältnisse, sowie der Zugang zu Privilegien verdeutlichen sollen. Sie haben nicht die Aufgabe, Gräben noch größer zu machen oder gar ein „Wir“ und die bedrohlichen „Anderen“ zu befördern. Diese Begriffe sollen aufzeigen, wie Rassismus, der nun einmal auch in Deutschland auf eine lange Tradition zurückblickt, Lebensrealitäten von Menschen gravierend und nachhaltig negativ beeinflussen kann. Diskriminierungs- und/oder Gewalterfahrungen, sowie Ausschluss aus gesellschaftlicher, politischer oder sozialer Partizipation aufgrund zugeschriebenen „Andersartigkeit“- ja eines ungewollten Fremdseins in der eigenen Gesellschaft, sind Resultat eben dieses Phänomens.
Es ist an der Zeit darüber zu reden, nicht ob es Rassismus gibt, sondern endlich anzuerkennen, dass es Rassismus durch alle gesellschaftlichen Ebenen und Institutionen hindurch schon immer gab und dieser enorm große Schäden im Leben der von Rassismuserfahrungen geprägten Subjekten hinterlässt. Lange Zeit mussten sich Menschen denen subtiler oder offenkundiger Rassismus wiederfuhr dem Vorwurf aussetzen, dass es vielleicht ihre Schuld gewesen sei oder sie sich dies alles nur einbilden würden nach dem Motto „Das war doch gar nicht so gemeint. Wozu die Übertreibung!“ oder „Das ist bestimmt nur deine Wahrnehmung, weil du so empfindlich bist.“ Es werden nicht nur rassistische Übergriffe getätigt. Nein: Es soll sogar auf das, was die betroffene Person fühlt Kontrolle ausgeübt werden. Schließlich bestimmt die andere Seite, was verletzt und was nicht. So auch in Amerika. Wenn Schwarze auf die Straßen gehen und „Genug!“ rufen, stellt sich die Frage, welches Recht sich Menschen, die nicht von sozialer Ungleichheit, politischer und sozialer Exklusion, sowie rassistischen Übergriffen aufgrund der Hautfarbe, nehmen um zu beurteilen, dass die Reaktionen viel zu überspitzt seien. Ja, es sogar einer #Alllivesmatter-Begwegung bedarf, da alles andere falsch sei. Mit Verlaub: Natürlich sind alle Menschenleben kostbar. Doch man sollte präzise argumentieren. Wenn Schwarze aufgrund ihrer Hautfarbe rassistischen Übergriffen ausgeliefert sind, dann ist der Kontext der #Blacklivesmatter-Bewegung und somit der Fokus auf Schwarze gerechtfertigt. Denn ihnen widerfährt Rassismus aufgrund ihrer Hautfarbe. Und das muss skandalisiert werden, anstatt bei der Verbreitung von Beschwichtigungen und Verwässerungen von Rassismusdebatten beizutragen.
Vieles läuft seit einiger Zeit in eine kontraproduktive Richtung. Beispielsweise wundern sich noch viele Menschen in Deutschland, wo denn bloß dieser „Rechtsruck“ auf einmal herkomme, da wir doch- obwohl das absolute Gegenteil empirisch bewiesen wurde- so eine große demokratische Mitte haben. All diese Entwicklungen stehen in einem Zusammenhang miteinander, der kritisch reflektiert und endlich Stellung bezogen werden muss, wenn wir weiterhin an einer soliden, menschenrechtszentrierten und unteilbaren gesellschaftlichen Kohäsion interessiert sind.
Wir müssen endlich annehmen, dass Rassismus erlernt wird und somit schon immer Teil unserer Sozialisation war. Die gute Nachricht ist aber, dass Rassismus ebenso durch kritische Reflexion „verlernt“ werden kann. Es ist Zeit aus der eigenen imaginären Blase aus-und in die Lebenswirklichkeit einzutreten. Es ist Zeit aufmerksamer zu werden, soziale und politische Missstände zu realisieren, soziale Ungleichheit zu skandalisieren und couragierter für die Einhaltung und Wahrung von Menschenrechten aller Menschen einzutreten.
*BIPoC: Black, Indigenous and People of Color